Kassel, Halle, Hanau: Eine Chronologie des Schreckens
Binnen weniger Monate wurden dutzende Menschen in Deutschland durch Rechtsextremisten oder von Anhängern abstruser rechter Verschwörungstheorien, ermordet. So kaltblütig die Taten, so willkürlich die Opfer.
Auch die jüngsten Getöteten im hessischen Hanau sind schon lange keine Einzelfälle mehr, wie einige am rechten Rand zu beschwichtigen versuchen. Seit 1990 wurden in Deutschland über 169 Morde durch die Hände Rechtsextremer und Neonazies verübt. Wie nach jedem Mord, Anschlag, Attentat oder Massaker, je nachdem, welche Definition man dafür finden mag, läuft die allseits öffentliche Anteilnahme nach dem immer gleichen, ritualisierten Prinzip ab. Schock, Entsetzen, Ohnmacht und Trauer und das Bekenntnis, dass sich „so etwas“ nie mehr wiederholen dürfe. Fassungslos, voller Trauer und mit Wut im Bauch suchen die Menschen nach Antworten: Was ist da passiert? Warum tut jemand so etwas? Man möchte Antworten auf Taten, die in letzter Konsequenz kaum erklärbar und niemals verstehbar sein werden. Und man wünscht sich schnelle und wirksame Handlungen seitens des Staates, damit solch furchtbare Dinge zukünftig nie mehr passieren mögen. Doch was genau soll man machen? Wie lässt sich so etwas verhindern? Die traurige Gewissheit lautet: es gibt keine hundertprozentige Sicherheit in dieser Welt, ganz gleich was auch tut. Dennoch gibt es Möglichkeiten Risiken zu minimieren. Prävention durch Aufklärung auf allen Ebenen, in allen Bereichen lautet das Gebot der Stunde. Aus Sicht des Rechtsstaats lautet die Antwort, dass nur jene Mittel eingesetzt werden dürfen, die mit diesem konform gehen um politisch motivierte Gewalttaten zu verhindern, ganz gleich wie schlimm ein mögliches Szenario auch sein mag. Der Grund hierfür liegt in der Historie der Menschheit begründet.
Erst durch die Verrechtlichung und der Wegnahme des Gewaltmonopols vom Einzelnen bzw. der Gruppe hin zum Staat als einzig legitimen Träger der Staats-Gewalt, war es möglich die Gesellschaft dauerhaft zu befrieden.
Und heute? Auch heute werden die Rufe nach harten Sanktionen wieder laut. Im Übrigen nicht nur, wenn es um die Schandtaten von Rechtsextremen geht. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums werden die selben Forderungen laut, wenn es darum geht „kriminelle Ausländer“ möglichst hart zu bestrafen. Die erste Erkenntnis ist wohl die, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Die heutige deutsche Gesellschaft ist auf der einen Seite so wohlhabend und friedlich wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Doch verglichen mit den letzten Jahrzehnten kommt man nicht umhin festzustellen, dass ein diffuses Unbehagen sich ausgebreitet hat. Eine Entfremdung zwischen sozialen Gruppen und Milieus. Zwischen ethnischen Gruppen, zwischen jüngeren und älteren Menschen, zwischen Stadt und Land, arm und reich, zwischen Ost und West, zwischen links und rechts. Die Antwort auf diese Entfremdung, Spaltung und Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft kann darum nicht lauten: mehr Spaltung, mehr Verbote und härtere Strafen. Damit bekämpft man lediglich die Symptome, nicht jedoch die Ursachen. Vielmehr muss die ehrliche Frage gestellt werden: was läuft falsch in diesem Land? Und dann kommen plötzlich ganz anderen Themen zum Vorschein. Antidemokratische Gesinnung, Hass und im schlimmsten Falle Morde sind aus psychologischer Sicht die letzten ultimativen Sichtbarwerdungen langer verworrener Prozesse des persönlichen und biographischen Unglücks. Also müssen Politik und Gesellschaft viel früher ansetzen, damit es erst gar nicht so weit kommt.
Menschen die bereits heute Probleme haben benötigen keine Zurückweisungen, sondern vielmehr Hilfe. Aufeinander zugehen, zuhören und miteinander in den Dialog treten bedeutet auch keineswegs Extremismus zu verharmlosen. Man soll hart in der Sache streiten, widersprechen und klare Grenzen des Sagbaren aufzeigen und dabei nicht vergessen, dass der Gegenüber irgendwelche Gründe – auch wenn sie noch zu abwegig sein mögen – für seine Meinung haben muss. Es geht also darum diese verborgenen Ursachen für solche Meinungen freizulegen und genau dort anzusetzen. Mit Konfrontation wird man die Spaltung und Radikalisierung der Gesellschaft jedenfalls nicht in den Griff bekommen. Dies nützt nur den Extremisten an den Rändern und der mehrheitlich gemäßigte Teil der Gesellschaft wird dann Zug und Zug zwischen diesen beiden Polen aufgerieben. Diese Entwicklung gab es schon einmal in Deutschland und darf sich nie mehr wiederholen.
Wir wünschen Ihnen und Ihren Liebsten eine schöne und vor allem fröhliche Fastnachtszeit. Kommen Sie gut durch die närrische Zeit.
(LS)